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Eine Reise zurück in die Vergangenheit

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Vom 07.-09.11.2011 fanden im Bischof-Benno-Haus in Schmochtitz (bei Bautzen) Begegnungstage deutscher und tschechischer Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums mit ehemaligen sudetendeutschen Zeitzeugen statt.

Wahre Zeitzeugen des 2. Weltkrieges wird es mit den Jahren immer weniger geben. Umso schöner war es, dass der Kurs Deutsch-tschechische-Beziehungen der Jahrgangsstufe 12 die Gelegenheit bekommen hat diese ganz besonderen Menschen für einige wenige Tage näher kennenzulernen.

Vom 7. bis zum 9. November 2011 trafen sich die Schüler mit den sogenannten „Sudetendeutschen“ im Bennohaus in Schmochtitz bei Bautzen, wo Letztere in Gruppen offen über ihre Vergangenheit als Vertriebene erzählten und der jüngeren Generation geduldig, aber auch ehrlich und manchmal mit einem weinenden Auge ihre Fragen beantworteten. Diese gewonnenen Informationen verarbeiteten die Schüler wiederum in kleine Präsentationen, die am letzten Tag den anderen Gruppen vorgestellt wurden und denen noch Belegarbeiten über die Erfahrungen der Sudetendeutschen folgen werden.

Doch das Thema sowie der gesamte Aufenthalt waren nicht nur geprägt von einer bedrückten Stimmung, wie man vielleicht annehmen könnte, sondern auch von Spaß und Freude bei u.a. Bowlingabenden und Spaziergängen um das weite Anwesen mit seinem herrlichen Park.
Das Einprägsamste war für die Beteiligten jedoch, dass sie am Ende eine persönliche Beziehung zueinander aufbauen konnten, welche auch über Schmochtitz hinaus reicht…

Das unsichtbare Band

Wie der 77-jährige Eddie Gampe und die junge Tschechin Kamila Hùrková bei Begegnungstagen der Sudetendeutschen ins Gespräch kommen.

Seite an Seite sitzen Eddie Gampe und Kamila Hùrková im Konferenzraum des Bischof-Benno-Hauses in Schmochtitz. Er, 77 Jahre alt, sie 17. Beide kennen sich erst seit einem Tag. Und doch gibt es da ein unsichtbares Band, das in ihren Gesprächen mitschwingt und sie verbindet.

Eddie Gampe wurde 1934 in Schönlinde geboren. Heute heißt der Ort Krásná Lípa, damals gehört er zum Sudetenland. Die Familie mit neun Kindern spricht deutsch. So wie die Nachbarn. Der Vater ist Fuhrunternehmer. Sonntags spannt er die Pferde für die Seinen an. Mit der Kutsche geht es quer durch die Umgebung. „In einer netten Gaststätte durften ich mir mit meiner Zwillingsschwester dann ein Eis kaufen“, berichtet der Senior. Die Erinnerungen lassen ihn schmunzeln. Kamila lächelt auch.

Doch die unbeschwerte Kindheit endet abrupt. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 werden die Sudetendeutschen gewaltsam vertrieben. Den Entschluss dazu hatte die tschechoslowakische Exilregierung noch während der Kriegszeit gefasst – als Reaktion auf die deutsche Besatzung in Böhmen und Mähren. Die meisten Sudetendeutschen müssen sofort gehen. Die Gampes dürfen noch bleiben. Ein Tscheche beschäftigt den Vater im ehemals eigenen Fuhrbetrieb als Arbeiter. Im Frühjahr 1946 kommt auch für sie der Abschied.

Die Eltern sind gerade in der Stadt, als zwei Polizisten an der Tür klopfen. Den Kindern wird mitgeteilt, dass sich die Familie in zwei Stunden auf dem Marktplatz einzufinden hat. Alle Papiere, Geld und Wertsachen bleiben im Haus. Ein großer Laster bringt sie fort, in die Nähe Prags. Dort müssen die Vertriebenen in einer Ziegelei arbeiten, bis sie im Herbst in ein Konzentrationslager kommen. Im Viehwagen verlassen sie im Frühjahr 1947 die Heimat. Die Familie strandet in Radebeul. Eddie Gampe ist 13.

Es ist genau das Alter, in dem auch Kamila Hùrková nach Deutschland kam – unter gänzlich anderen Umständen. Die Schülerin entschied sich bewusst für das Leben auf der anderen Seite der Grenze und den Besuch des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Pirna. Dort lernen Tschechen und Deutsche gemeinsam bis zum Abitur. Unterrichtet wird in Tschechisch und Deutsch. Die Begegnungstage mit ehemaligen Sudetendeutschen in Schmochtitz gehören für die Zwölftklässler zum Unterrichtsfach „Deutsch-Tschechische Beziehungen“. Insgesamt fünf Zeitzeugen berichteten dabei über ihre Vertreibung. Es ist für beide Seiten, ein Stück aufeinander zugehen.

„Wir Jungen wissen nicht, wie es damals war. Und in meiner Heimat redet niemand gern über das Thema“, sagt Kamila Hùrková. Ihr Heimatort liegt ebenfalls im ehemaligen Sudetenland. Immer wieder entdecken die begabte Pianistin und der ausgebildet Tänzer im Gespräch Gemeinsamkeiten.

Eddie Gampe hadert nicht mit dem Schicksal. „Ich hätte ohne Vertreibung sicherlich nicht auf Bühnen, wie dem Friedrichstadtpalast und der Dresdner Staatsoperette, gestanden. Meine Heimat ist heute Radebeul“, sagt der Senior. Nach einer langen Zeit des Schweigens hat er nach der Wende begonnen, vor allem jungen Menschen von zwei Leben diesseits und jenseits der deutsch-tschechischen Grenze zu erzählen. Für Kamila Hùrková ist es auch ein Stück eigene Geschichte.

Von Von Miriam Schönbach aus: Sächsische Zeitung, 12.11.2011

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